Fahrbericht McLaren Artura – Stromschlag aus Woking
Valencia , im Spätsommer 2020
Sie haben etwas länger gebraucht, länger als erwartet. Viren nehmen keine Rücksicht auf Pferdestärken und E-Motoren. Die Vorfreude auf die erste Testfahrt wuchs und dann stand der Artura auf dem Track im Süden Spaniens. Leinen los.
Der V8 schaut zu, der V6 tritt zum Dienst an. Hand in Hand mit einem E-Motor, der in Kombination mit einem kleinen Akku, 30 Kilometer schaffen kann. Vorausgesetzt der Gasfuß ist entspannt und verzichtet auf allzu großen Druck. Dann surrt sich der Brite durch die Gegend. Die Menschen schauen dem Treiben zu, überlegen sichtbar, was das wohl sein könnte. Tank leer und per Pedalantrieb fahrend? Ein Supersportler, dem man seine Kräfte, seinen Drang nach vorn ansieht und der ist so leise wie ein Auto ohne Motor. Man hat sich sicher an Hybride jeder Größe und reine Elektriker gewöhnt, aber ein Flachmann mit Luftkanälen, sehr breiten Reifen und sehr hoch sitzenden Endrohren daher rollt, ist schon einen längeren Blick wert.
Selbst wir, hinter dem leeren Steuer sitzend, wundern uns ein paar Momente, bis wir dann endlich verstehen, dass hier ein E-Motor wirkt. Es ist seltsam, unwirklich und doch Realität. Andere Hersteller haben das Prinzip umgesetzt. Weniger Benzin verbrennen, mehr elektrische Energie nutzen und doch rasend schnell sein. 680 PS stehen auf dem Zettel, 330 km/h, das ist McLaren-like und nur knapp 1,5 Tonnen leicht. Er soll 5,5 Liter Benzin verbrauchen, auf 100 Kilometer. Wir glauben es nicht. Weil der Mensch in einem McLaren Gas geben will. Weil der Mensch lieber in eher ruhigen, langsamen Autos an Effizienz denkt. Vielleicht sind es Rennfahrer, die im Wettbewerb an Energie denken müssen. Die Formel-E ist da ein Beispiel. Niemand will den Wagen auf den letzten Metern schieben müssen. Aber auf freier Wildbahn werden die Pferde dann doch gerne mal ins Laufen gebracht und dann schwebt die Zahl 5,5 gerne über den Dingen.
So geschehen auf dem Weg zum Ascari Track nördlich von Marbella. Landstraße, kaum Verkehr, schöne, lange, offene Kurven, bergauf, bergab. Der V6 kann durchatmen, das Duo treibt den Briten durch den Slalom wie auf den berühmten Schienen, der E-Motor greift dem Verbrenner unter die Arme, dabei spürt man, dass der Schwerpunkt noch tiefer liegt, was die Balance einen Tick besser wirken läßt. Und es kommt, wie es kommen muss. Der Akku leert sich schneller, als eine Maß Bier auf dem Oktoberfest. Der Verbrenner muss alleine wirken und das bedeutet: mehr Arbeit für den V6, weil die fehlenden 95 E-PS kompensiert werden wollen. Das Hybrid-System erreicht seine Grenze, die 5,5 entschwindet in weite Ferne. Bis der Akku wieder beladen wurde. Dann rennt er wieder, deutlich effizienter.
Der Stromtank wird entweder per V6 oder per Kabel geladen. Die erste Variante dürfte die meist genutzte sein, was die 5,5 in eine unsichtbare Größe verwandelt. Wobei wir nicht vergessen, dass die durchschnittliche Kundschaft das Thema Verbrauch eher lässig bewerten. Die Performance steht im Vordergrund. Und die speist sich aus vielen technischen Errungenschaften.
Ja, der Unterschied zwischen reinem Verbrenner und dem Kombinat aus E- und V will erkundet und aufgeschrieben werden. Ein McLaren ist ein McLaren. Punkt. Unterschiede gibt es, klar. Wenn der Akku voll ist, spaziert der Zweitürer sehr gelassen und ausgesprochen ruhig umher, das Fahrwerk auf Komfort gestellt und der Artura ist ein lammfrommer Wagen.
Und wenn der Wolf rausgelassen wird? Dann greifen zwei Turbolader ins Geschehen ein, die Lenkung, nach Umstellung auf Sport oder Track, wird so präzise wie in allen anderen McLaren, die Bremsen greifen zu, als wollten sie nicht mehr loslassen. Rekuperieren müssen sie nicht, was wir eigentlich gut fänden. Aber Sport ist eben Sport, die Performance zählt. Und da ist der Artura ein Musterschüler.
Auf der Rennstrecke lernen wir, dass der Punch aus dem Drehzahlkeller dem E-Motor geschuldet ist und das merkt der Gasfuß. Die ersten Meter sind E-Sportwagen-like. Ansatzlos und genau das hatten die Entwickler und Produktmanager bei McLaren auch im Sinn. Dass die E-Maschine auch den C02-Ausstoß reduziert, ist positiv.
Wir drehen ein paar Runden, lassen den Engländer nach vorn rennen, bremsen ihn wieder ein. Ascari wurde ein wenig optimiert, mehr Schikanen, weniger Top Speed. Dafür kann der Artura seine Wendigkeit, seine exzellente Balance und seine Standfestigkeit unter Beweis stellen. Sein Handling ist extrem simpel, hier und da zeigt der Wagen, dass er sich langweilt, weil hinter dem Steuer ein Journalist und kein Rennfahrer sitzt, aber er ist Brite und deshalb sehr höflich. Er verzeiht Fehler, korrigiert sicher, schnell und sachte. Auch das ist typisch.
Technische Daten
Motor: V6 TwinTurbo
+ E-Motor
Hubraum: 2.993 ccm
Gesamtleistung: 500 kW / 680 PS
Drehmoment: max 720 Nm
Leergewicht: 1.498 kg
Top Speed: 330 km/h
0-100 km/h: 3,0 s
Preis in Deutschland: ab 230.500,00 Euro
Fotos: McLaren
Und wenn der Wolf rausgelassen wird? Dann greifen zwei Turbolader ins Geschehen ein, die Lenkung, nach Umstellung auf Sport oder Track, wird so präzise wie in allen anderen McLaren, die Bremsen greifen zu, als wollten sie nicht mehr loslassen. Rekuperieren müssen sie nicht, was wir eigentlich gut fänden.
Ein paar Worte über Reifen. Pirelli, Italiens Spezialist für Pneus der Premium- und Luxus-Klasse, hat dem Artura ein Special gegönnt. Der Name „Cyber Tyre“ klingt nach Zukunft, ist aber brandneue Realität. Im Reifen selbst sitzt ein Chip und der sammelt Daten. Druck, Profil, Temperatur und so weiter. Dies alles, wird permanent überprüft und an die Fahrzeugelektronik geleitet, die sich dann darauf einstellt und die entsprechenden Systeme wie ABS oder Stabilitätskontrolle anpasst. Zudem werden die Daten im Monitor vor dem Lenkrad des Artura angezeigt. Wir haben den Cyper Tire auf dem Pirelli P Zero Corsa erlebt, der Blick auf den Bereich des Monitors mit den Reifen-Daten ist anfangs noch ungewohnt, wir gehen davon aus, dass man sich schnell an das System gewöhnt.
Ein Fazit ganz am Ende. Der Artura trägt die McLaren-Plakette vorn auf der Haube, weil er ein waschechter McLaren ist. Innen wie Aussen. Der typische, kleine Monitor auf der Mittelkonsole ist so normal, wie die Scherentüren oder das blanke Volant, auf dem Nichts Verstellbares zu finden ist. Die Fahreigenschaften sind gewohnt spitz justiert, plus das große E, welches den Zweisitzer in einen leisen Rennwagen plus Punch aus dem Keller verwandelt. Wir kennen das aus dem P1, nun also die etwas modernere, zivilere Variante.